Konzept

Wichtig für Entscheidungsträger sind Informationen über den aktuellen Zustand der Einzugsgebiete und der daraus resultieren Durchflussverhältnisse im Gewässersystem sowie wahrscheinliche Entwicklungen in näherer (1 bis 3 Tage) und mittelfristiger (mehrere Wochen) Zukunft.

Insbesondere Aussagen zur mittelfristigen Wetterentwicklung sind derzeit nicht möglich. Deshalb soll und kann das zu entwickelnde System keine klassischen Vorhersagen liefern. Stattdessen sind mögliche oder wahrscheinliche Entwicklungsszenarien vorzuschlagen, auf deren Basis „wenn-dann“-Entscheidungen getroffen werden können

Als Basis für das DSS dient das räumlich hochaufgelöste Wasserhaushaltsmodell ArcEGMO, welches bereits landesweit in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg (inklusive Berlin) genutzt wird. Ein weiteres Ziel von NieTro die weitere Qualifizierung des Landesmodells für den Niedrigwasserbereich für Fokusgebiete.

Für alle fortlaufend durchgeführten Simulationen stehen in NieTro umfassende Auswertungen bereit.

Die drei Kernfunktionen

Die drei Kernfunktionen des Entscheidungshilfesystem NieTro sind die Abbildung des aktuellen Gebietszustandes, die Prognose kurzfristiger Entwicklungen und die Abschätzung möglicher mittelfristiger Entwicklungsszenarien.

Abbildung des aktuellen Gebietszustandes

ArcEGMO wird dazu in ein Ständig Arbeitendes Wasserhaushaltsmodell (SAM) integriert. Dieses SAM bezieht täglich die für den Modellbetrieb benötigten meteorologischen

  • DWD-Produkt REGNIE-Regionalisierte Niederschlagshöhen
  • Meteorologische Messdaten aus dem Stationsnetz des DWD auf Tagesbasis
    • Relative Feuchte, Tagesminimum der Lufttemperatur in 2m Höhe, Tagesmaximum der Lufttemperatur in 2m Höhe, Tagesmittel der Temperatur, tägliche Niederschlagshöhe, Tagesmittel der Windgeschwindigkeit, Sonnenscheindauer Tagessumme
  • Wettervorhersagen des DWD aus den Modellen COSMO-D2 und ICON-EU
und hydrologischen Daten per Internet, verarbeitet diese automatisiert und simuliert regelmäßig den aktuellen Gebietszustand, liefert räumlich differenzierte Abbilder der Bodenfeuchte, des Inhalts der Grundwasserspeicher und der Abflussverhältnisse im Gewässernetz.

Abbildung Tagesablauf
Abbildung 1: Schema der täglichen ablaufenden Arbeitsschritte.

Diese Abbildungen des Gebietszustandes werden nutzerorientiert aufbereitet und können so von Entscheidungsträgern zur Ableitung von Bewirtschaftungsmaßnahmen wie Zusatzwasserabgaben aus Talsperren genutzt werden.

Zusätzlich werden diese Zustandsabbilder zusammen mit den aufbereiteten meteorologischen und hydrologischen Eingangsdaten in einer Datenbank archiviert, in die zusätzlich historische Zustandsabbilder aus Modellsimulationen für den Zeitraum 1951 bis heute unter Verwendung der REGNIE-Daten und Klimahauptstationen eingespeist werden.

Prognose kurzfristiger Entwicklungen

Für den Vorhersagezeitraum, den die operationelle Wettervorhersage mittels COSMO-D2 und ICON-EU bietet (~3 Tage), rechnet das Wasserhaushaltsmodell täglich Vorhersagen des hydrologischen Zustands. Dem Nutzer stehen auch hierfür Abbildungen für den Vorhersagezeitraum zur Verfügung.

Abschätzung möglicher mittelfristiger Entwicklungsszenarien

Belastbare mittelfriste Wettervorhersagen sind nicht möglich. Um die zukünftig möglichen Entwicklungen dennoch täglich automatisiert abschätzen zu können, schaut NieTro in die Vergangenheit und sucht dort nach vergleichbaren Zustände.
Die Hypothese ist dabei, dass für Niedrigwasser relevante Wetterlagen meist längerfristig vorherrschen und bestimmte Muster in den Modellspeichern Grundwasser, Bodenwasser und Oberflächenwasser hinterlassen. Aus ähnlichen Speicherinhalten in der Vergangenheit wie gerade vorliegend, lassen sich dann Aussagen über weitere mögliche mittelfristige Zustände abschätzen.

Für die Szenarienentwicklung bedeutet dies, dass aus einem Vergleich der Speicherstände aus der jüngsten Vergangenheit, mit allen historischen Speicherständen in der gleichen innerjährlichen Zeitraum, Jahre herausgesucht werden, die die höchste Ähnlichkeit aufweisen. Die auf diesen Zeitraum folgenden meteorologischen Daten sind dann die meteorologischen Daten für eine Szenariorechnung mit ArcEGMO.

Abbildung Schema Szeneriensuche
Abbildung 2: Schema zum Ablauf Szenariensuche am Beispiel des Szenarienzeitraums für Mai bis Juli.

Weitere mögliche Szenarien sollen im Entscheidungshilfesystem vom Nutzer auswählbar und zu berechnen sein:

  • Eine Auswahl historischer Zeiträume von sehr trocken bis sehr feucht.
  • Eine Auswahl aktuelle Klimaentwicklungsszenarien.
  • Historische Trockenperioden mit Nutzerseitiger „Bias-Korrektur“ (z.B. Niederschlag um 20% vermindert, Temperaturen um 1 Grad erhöht)

Weitere Qualifizierung des Landesmodells für den Niedrigwasserbereich

NieTro nutzt Mehrzieloptimierung als state-of–the-art Methode zur automatischen Modellkalibrierung. Die Mehrzieloptimierung erlaubt eine höhere Informationsausbeute und Fokussierung auf mehrere Aspekte des Hydrographen als normale Einzieloptimierung. Wir formulieren zwei Zielfunktionen auf Basis zweier Gütekriterien, der Kling-Gupta-Effizienz (KGE) und dem saisonalen PBIAS (sPBIAS).
Die KGE wird über die gesamte Laufzeit der Simulation von 2010 bis 2020 berechnet und bewertet die Bias, Varianz und Korrelation zwischen Simulation und Beobachtung. Der saisonale PBIAS berechnet der prozentualen Bias für die Saison Nov-Apr und Mai-Okt getrennt, so dass die Niedrigwassersaison getrennt betrachtet werden kann.

Abbildung 3 zeigt beispielhaft für den Pegel Wolfshagen die Pareto-Front, links, und die Verteilungen der Design-Parameter. Die Umhüllenden aller Ganglinien zu den Lösungen in der Pareto-Front ist in Abbildung 4 als grauer Bereich dargestellt, Beobachtungsdaten in Blau und die ursprünglichen simulierten Durchflüsse in Schwarz.
Obwohl eine deutliche Verbesserung erkennbar ist, klingen die simulierten Durchflüsse nicht schnell genug ab. Dies ist jedoch durch einen Austausch des EGMO-Modells ins ArcEGMO durch PSCN (Grün) möglich, wie Abbildung 5 zeigt. Der Umstellung ist in einer möglichen 2. Projektphase geplant.

Abbildung Front und Parameter
Abbildung 3: Pareto-Front (ganz links) und Parameterverteilung in der Mehrzieloptimierung für den Pegel Wolfshagen.
Abbildung Verbesserung durch Optimierung
Abbildung 4: Ausschnitte aus dem Simulationszeitraum. Umhüllende der Durchfluss-Zeitreihen aller Pareto-optimalen Lösungen (Graue), Beobachtungsdaten (Blau) und aktuelles Landesmodell (Schwarz).
Abbildung Verbesserung durch PSCN
Abbildung 5: Vergleich von Durchflussganglinien aus der Beobachtung (Blau), aktuelles Landesmodell (Schwarz) und ArcEGMO-PSCN (Grün).

Umsetzungskonzept

Das Konzept für das Entscheidungshilfesystem NieTro sieht eine Web-Applikation für 3 unterschiedliche Nutzergruppen vor: die Interessierten, Szenarienrechner und Bewirtschafter. Dabei erhalten erfahrenere Nutzer umfassendere Auswertungen und einen umfangreicheren Funktionsumfang.

  • Interessierte sind Nutzer aus der breiten Öffentlichkeit, die sich aus Interesse an der aktuellen Lage mittels NieTro informieren möchten. Für diese Nutzergruppe stehen verständliche und gut dokumentierte Auswertungen bereit. Der Download von ausgewählten Daten ist möglich.
  • Szenariorechner sind Nutzer aus Ämtern, Behörden oder aus Bereichen der Wirtschaft, die mit dem Wassersektor vertraut sind und Erfahrung mit der Interpretation von Daten besitzen. Für diese Nutzergruppe stehen umfassende Auswertungen und Funktionen zur Analyse bereit.
    Nutzer dieser Gruppe sind in der Lage eigene kurz- und mittelfristige meteorologische Szenarien zu berechnen. Der Download von Daten ist uneingeschränkt möglich.
  • Bewirtschafter kommen aus dem gleichen Umfeld wie die Szenariorechner, aber nehmen zusätzlich direkte Aufgaben in der Bewirtschaftung von Fließgewässern wahr.
    Nutzer aus dieser Gruppe besitzen die Möglichkeit eigene Bewirtschaftungsszenarien für ihre Systeme zu berechnen.

Abbildung 6 zeigt einen einfachen Entwurf für das DSS NieTro mit der Ansicht für punktbezognene Auswertungen. Hier ist zum Beispiel eine Auswahl eines Pegels zur Begutachtung der aktuellen und zukünftig möglichen Durchflüsse über eine Kartenauswahl oder Listenauswahl möglich.
Ältere Ergebnisse sind über die Auswahl eines Datums aus der Kalenderansicht auswählbar. Dem Nutzer stehen verschiedene Funktionen zur interaktiven Manipulation der Darstellung und der Auswertungen bereit.

Abbildung Verbesserung durch PSCN
Abbildung 6: Konzept zum DSS NieTro zur Ansicht punktbezogener Größen und Indikatoren.

Für die Berechnung von Bewirtschaftungsszenarien durch Bewirtschafter sind mehrere Arbeitschritte nötig, die nacheinander auszuführen sind. Abbildung 7 zeigt eine Ansicht im DSS NieTro zur Änderung der Bewirtschaftung für eine bestimmte Bewirtschaftungseinheit eines Nutzers. Mit eienr zuvor getroffenen Auswahl für die zukünftig mögliche meteorologische Bedingung startet der Nutzer eine Simulation mit ArcEGMO mit den festgelegten Bewirtschaftungsregeln. Eine detaillierte Auswertung der Ergebnisse sind dann im Abschluss der Berechnung mittels des DSS NieTro möglich.

Abbildung Verbesserung durch PSCN
Abbildung 7: Reiter „Szenario Bewirtschaftung“ mit einer Übersicht zu steuerbaren wasserwirtschaftlichen Einrichtungen im Bewirtschaftungsgebiet und zugehörigen Einstellungsmöglichkeiten..

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